Freitag, 14. November 2014

Kroatien im Spätsommer


Fünf Uhr morgens. Ich schließe die Haustür hinter mir, verstaue meinen Rucksack im Auto und fahre los. Ich zittere ein wenig, zum Teil vor Kälte und zum Teil vor Aufregung. Es ist noch stockdunkel und nichts lässt erahnen, dass in wenigen Stunden das Leben erwachen wird. Im Radio verbreiten die Moderatoren gute Laune für alle Frühaufsteher, aber ich schalte es wieder aus, weil ich mich gerade nicht auf Musik oder Gespräche konzentrieren kann. Mir reichen die Motorengeräusche und die der Reifen auf der Fahrbahn. Schließlich biege ich in Sebastians Einfahrt ein, ich muss nicht klingeln, er hat mich schon erwartet und kommt bereits zur Tür hinaus. Wir umarmen uns fest, er drückt mir einen Kuss auf den Mund und sofort fällt jede Anspannung von mir ab. Sein Duft und seine Wärme scheinen all meine Sorgen und Bedenken verpuffen zu lassen. Ab jetzt sind wir zu zweit und ab jetzt geht es endlich los.
Kaum sind wir auf der Autobahn, scheint es, als bräche der Himmel über uns hinein. Es regnet so sehr, dass man höchstens zwanzig Meter weit sehen kann und als wir an der Grenze aussteigen um eine Vignette zu kaufen, sind wir innerhalb kürzester Zeit vollkommen durchnässt. Ich bin fasziniert davon, wie viel Niederschlag pro Quadratmeter fällt, zuvor hatte ich es für ein Filmklischee gehalten, dass man nach einer Minute im Regen aussehen kann, als hätte man sich mit Kleidung geduscht. Hätte ich selbst fahren müssen, hätte ich so lange gewartet, bis der Regen schwächer geworden wäre und es begonnen hätte zu dämmern, so unsicher hätte ich mich auf der Straße gefühlt. Umso erstaunlicher, dass ich als Beifahrerin absolut keine Angst habe und ihm einfach vertraue, dass er uns sicheran unser Ziel bringt. Was er auch, wie immer, getan hat.

Unser Apartment ist Teil eines mittelgroßen Komplexes, die meisten Wohnungen stehen um diese Jahreszeit leer. Außer uns sind noch zwei weitere Familien da, beides mal ein älteres Ehepaar aus Deutschland. Das Land wirkt ausgelaugt und ruhig, so kurz nach Ende der Hauptsaison. Die Straßen sind kaum befahren, die Campingpätze größtenteils verlassen und die Orte haben einen ganz eigenen Charme ohne die üblichen Touristenhorden. Es ist anfangs ein seltsames Gefühl, nicht überall auf Familien mit Kindern zu stoßen und den Altersdurchschnitt, egal wo man sich befindet, um mehrere Jahrzehnte zu senken. Aber ich merke schnell, dass genau das mir gut tut, die Ruhe und die Unaufgeregtheit, die sich fast spürbar überall niedergelassen hat. Die Einheimischen sind freundlich, aber müde, man merkt, wie sehr ihnen der Sommer zugesetzt hat. Wenn sie uns auf deutsch ansprechen oder antworten, ist uns das immer ein wenig peinlich, weil wir es gewohnt sind, uns an unser Urlaubsland anzupassen, auch sprachlich.
Wir schlafen lange und gehen spät ins Bett, ich bin meistens als erstes wach und schleiche mich leise ins Wohnzimmer. Meistens werde ich dort schon von unserem Besucher begrüßt, dem riesigen, aufdringlichen Kater, liebevoll Großkopf genannt. Er springt dann zu mir auf die Couch, kuschelt sich in meine Decke und leistet mir schnurrend Gesellschaft, wenn ich Fotos bearbeite. Es ist, als würde er fühlen, wie sehr ich ihn brauche, wie sehr meine Stimmung davon abhängt, Tiere um mich zu haben. Sebastian kann es nicht wirklich leiden, dass der Kater bei uns ein und aus geht und auf seine Bitte hin habe ich auch aufgehört, ihn mit Leckereien aus dem Kühlschrank zu füttern. Trotzdem sitzt er weiterhin morgens auf der Terrasse und verlangt Eintritt und seine Streicheleinheiten, die ich ihm gerne gebe. Ätsch, Basti!

Wir gehen fast jeden Tag einkaufen und kochen uns abends alles, worauf wir Lust haben. Am ersten Abend gibt es Ratatouille aus Tomaten, Paprika und Zucchini mit in Fladenbrot gebackenem Rosmarin-Feta. Während wir die warme Mahlzeit vor unserer Haustür genießen, rollt ein gigantisches Gewitter über uns heran und wir können beobachten, wie sich dunkelblaue Wolken in den rosa Abendhimmel ergießen, der regelmäßig von fernen Wetterleuchten erhellt wird. Fasziniert beobachten wir das Schauspiel, weil uns bewusst ist, dass es sehr wahrscheinlich das Letzte dieser Art ist, das wir dieses Jahr zu Gesicht bekommen werden. Die Geräuschkulisse aus vereinzelten Regentropfen, dumpfem Donnergrollen und dem Plätschern des Pools lässt mich später sanft in einen tiefen Schlaf gleiten.

Tagsüber machen wir viele Ausflüge und genießen die menschenleeren Gassen in vielen Orten, die geradezu danach schreien, fotografiert zu werden. Ich habe Sebastian meine 70D überlassen und mich sehr darüber gefreut, dass er meine Liebe zu Festbrennweiten von Anfang an teilt. Meine Bewunderung für ihn wächst ins Unermessliche, als ich merke, wie schnell er die fotografischen Grundlagen umsetzen kann, die ich ihm nebenbei erkläre. Zusammenhänge, für deren Verständnis ich Monate gebraucht habe, erschienen ihm absolut logisch und wenn wir abends unsere Kameras tauschen um uns durch die Fotos des jeweils anderen zu klicken, bin ich einfach nur begeistert von seiner Sicht auf die Welt und seinen gelungenen Fotos.

Auf meinen Wunsch hin, besuchen wir eine nahe gelegene Tropfsteinhöhle, die ich einfach sehen musste, als ich von ihr gehört habe. Die Einrichtungen auf dem dazugehörigen Gelände sind für weitaus mehr Besucher ausgerichtet, als sich in diesem September dort einfinden, weshalb wir eine sehr kleine Gruppe sind, die nach unten unter die Erde geführt wird. Höhlen haben auf mich schon immer eine große Faszination ausgeübt und Sebastian erklärt mir leise alles, was er über Karst, Eisenoxid und Kalk weiß, noch bevor die Führerin dazu kommt, ihr Wissen mit uns zu teilen. Obwohl der Jargon um mich herum eher wissenschaftlich ist, hält mich das nicht davon ab, von tief gelegenen Schatzkammern, funkelnden Kristallen und unterirdischen Bergseen zu träumen und stoße auf leichtes Unverständnis, als ich meinen Wunsch äußere, in einer Höhle wohnen zu dürfen.
Sebastian probiert voller Eifer die Offenblende seines Objektivs aus und lacht sich heimlich ins Fäustchen, als ein Holländer wiederholt darin scheitert, die Felsformationen mit seiner Handykamera zu fotografieren. Als wir, leider viel zu schnell, am Ende der Höhle angekommen sind, fällt mir der Abschied besonders schwer angesichts eines glasklaren kleinen Sees, in dem sich Stalagtiten und gedimmte Lichter spiegeln. Ich kann meine Augen kaum von diesem wunderschönen Schauspiel abwenden, erst als die Führerin die kleinen Grottenolme entdeckt, die im Wasser leben, kann ich mich auf etwas anderes konzentrieren. Für einen kurzen Moment überkommt mich der aberwitzige Gedanke, gerne mit einer dieser augenlosen Kreaturen den Platz zu tauschen und mich an seiner Stelle jahrelang bewegungslos im stillen, dunklen Wasser aufzuhalten.
Wieder oben angekommen, in der hellen Sonne, kommt es mir fast so vor, als wäre ein Teil von mir dreißig Meter unter der Erde zurückgeblieben.

An einem besonders heißen Tag möchten wir ans Wasser und machen uns planlos auf den Weg in Richtung Küste. Da in der näheren Umgebung jeder Küstenabschnitt zu Campingplätzen gehört und wir wie üblich vergessen haben, eine Straßenkarte mitzunehmen, parken wir irgendwann einfach auf einem der Parkplätze und marschieren durch die teuer aussehenden Privatanlagen zum Meer. In die schroffen Felsen wurden natürlich wirkende Terrassen eingearbeitet und überall stehen Liegestühle herum, von denen nur ein Bruchteil besetzt ist. Ich versuche, meine kindliche Freude über das klare Wasser möglichst unauffällig zu halten, um uns nicht sofort an die gelangweilten Urlauber zu verraten. Sebastian tut sich leicht, indem er seine Schuhe auszieht und es sich auf einer Liege bequem macht. Mich aber hält dort nichts mehr, als ich die ersten Krebse entdeckt habe und bemühe mich von da an, möglichst nicht ins Wasser zu fallen, während ich den kleinen Tieren hinterherklettere. In der prallen Sonne bereue ich es sehr, keine Badesachen mitgenommen zu haben, vor allem im Hinblick auf das bereits sehr kalte Wetter in Deutschland.
Aber auch ohne abschließenden Badegang war der Urlaub die perfekte Abrundung für unseren Sommer, weshalb wir uns auch voller Vorfreude auf den Herbst auf den Heimweg gemacht haben.

Dauerhungrige Straßenkatzen, die sehr interessiert am Speiseplan der Touristen sind
Großkopf und ich | Schaufensterselfie
Zwei einheimische Frauen, die bei einer Flasche Wein Souveniers basteln
Ein etwas missmutiger Mann, der uns super leckeres Olivenöl aus eigenem Anbau verkauft hat

Fotos von Sebastian und mir

9 Kommentare:

  1. So ein schöner Text! Du kannst alles so toll in Worte fassen & das auf so eine...beruhigende Art, irgendwie. Kann's nicht beschreiben.
    "Es ist, als würde er fühlen, wie sehr ich ihn brauche, wie sehr meine Stimmung davon abhängt, Tiere um mich zu haben."
    Besonders der Satz hat mich echt berührt. Weil du ja vor einiger Zeit erzählt hast, wie's dir ging/geht.. & weil ich Tiere so sehr schätze, da geht's mir auch gleich immer besser.
    Hört sich echt nach wunderschönen Tagen an & die schönen Bilder die ihr gemacht habt untermalen das alles noch so toll.
    Ich hoff', dir geht's gut <3

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    1. Oh, wie lieb von dir, Marina! Vielen vielen Dank für deinen Kommentar, freut mich sehr, dass dir der Post gefällt <3
      Ja, Tiere sind einfach Seelenschmeichler, ich wüsste gar nicht, was ich ohne meine Fellnasen machen würde. Es freut mich auch immer total, wenn du Fotos von Tieren hochlädst, weil sie in meinen Augen deine Liebe zu ihnen so wunderschön transportieren.
      Joah, geht so, danke :)

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  2. Der Text ist wirklich bezaubernd, ich mag deinen Schreibstil total <3 Ich finde es echt toll, wie du das alles beschrieben hast, und die Bilder die dazu in meinem Kopf entstanden sind, sind ziemlich ähnlich mit denen, die du von deinem Urlaub gezeigt hast :) Ich stell mir das auch total schön vor, mal in der Nebensaison irgendwo Urlaub zu machen und richtig zu entspannen. Die Fotos sind echt wunderschön, da habt ihr wirklich ein sehr gutes Auge für. Und ich muss noch dazu sagen, dass du auch echt wunderschön bist :)

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  3. ooh wie ich jetzt lust bekäme, mich in den zug zu setzten und einfach wo hinfahren. du hast echt talent, das erlebte so wunderbar niederzuschreiben und die bilder sind ja auch der hammer. <3
    grüße. Monika

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  4. es sieht und hört sich nach einer wunderbaren zeit an - ich hoffe sie bleibt dir lange in erinnerung :)

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  5. Ich bin immer wieder fasziniert von deinem Blick für Details - du gehst mit so offenen Augen durch die Welt und hältst so tolle Momente fest, wahnsinn. (:
    Ganz, ganz liebe Grüße (: <3

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  6. Das ist ein ganz wunderbarer Reisebericht. Mir fehlen die Worte. Dieser Post hat meinen Tag wesentlich schöner gemacht.

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  7. Spätestens jetzt bin ich ein riesen Fan von Dir geworden. Du hauchst Deinen Bildern soviel Leben ein...

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