Die bösen Gedanken sind einfach mitgekommen, obwohl sie kein Flugticket hatten und nicht mal eingeladen waren. Beim Abflug hatte ich zwar das Gefühl, dass nicht nur mein Magen auf der Startbahn zurückgeblieben sei, sondern auch andere Dinge, vor allem solche, die ich nicht mitnehmen wollte. Aber spätestens im heißen Touristengetummel war alles wieder da, hallo, da sind wir, deine Ängste und Sorgen, immer dazu bereit, dir auf der Schulter zu sitzen, dir unsere Krallen in die Haut und Knochen zu drücken, bis du dich nicht mehr bewegen kannst, und dir gemeine Dinge ins Ohr zu flüstern.
Wäre meine Kamera
nicht gewesen, ich hätte das Apartment gar nicht erst verlassen. Aber es schien
mir, als würde sie mir jedesmal aufmunternt zunicken, wenn ich sie ansah und
mir Mut geben und Kraft. Während ich um mich herum Gestöhne und Beschwerden
hörte, "die Kamera ist so schwer, wieso habe ich sie überhaupt
mitgenommen?", legte ich immer dann, wenn es gerade ganz schlimm zu werden
schien, den rechten Zeigefinger auf den Auslöser meiner Kamera und drückte
diesen zur Hälfte durch. Ich spürte, wie das Gerät aufwachte und innerhalb von
Zehntelsekunden willkürtlich scharfstellte, Belichtung und ISO berechnete und
bereit war, jederzeit das einzufagen, was ich sah. Diese Tatsache beruhigte
mich meistens sehr.
Barcelona ist eine außergewöhnliche Stadt und die Mentalität
der Menschen ist eine ganz andere, als man sie so kennt. Sie sind gelöst und
impulsiv, emotional und authentisch. Obwohl sie kaum Englisch können, sind sie
mitteilungsfreudig und sehr hilfsbereit. Sie sehen einen interessiert an und
genieren sie nicht, wenn man sie dabei erwischt. Sie senken manchmal nicht
einmal den Blick, sondern halten ihn und sehen einem direkt in die Augen. Braun
und feurig trifft dann Blau und kühl.
Einmal ist mir genau das passiert, ich saß in der Metro, die
gerade in eine U-Bahn-Station eingefahren war und mir gegenüber am Bahnsteig
stand eine Gruppe junger Leute. Ein Junge, der mir zugewandt stand, unterhielt
sich in Zeichensprache mit den anderen und ich musste ihn einfach ansehen, weil
ich es faszinierend fand, dass Menschen dazu in der Lage sind, sich nur mit
Gesten zu verständigen. Er bemerkte meinen interessierten Blick, aber statt
irritiert oder gar wütend zu sein, lächelte er und winkte mir freundlich zu.
Ich winkte und lächelte zurück und dann machte er seine Begleiter auf mich
aufmerksam, bis irgendwann die ganze Gruppe lächelte und winkte und die Metro
weiterfuhr.
Am zweiten Tag sind wir an den Strand gefahren. So früh im
Jahr bin ich bisher noch nie am Meer gewesen, also ein ganz besonderes
Privileg, über das ich mich sehr gefreut habe. Optimistisch, wie ich selten
bin, habe ich sogar Bikinis in meinen Koffer gepackt, bei der Ankunft im Süden
der Stadt war mir aber schnell klar, dass ich im April im Mittelmeer ein
flüchtiger Wunschtraum bleiben würde. Doch trotz der kalten Temperaturen und
dem erbarmungslosen Wind, badeten ein paar Kinder, die bereits jetzt so braun
waren, wie ich es nie sein würde, im Wasser. Alleine ihr Anblick ließ mich
frösteln, machte mich aber trotzdem seltsam glücklich, da sie mich an mich
selbst vor vielen Jahren erinnerten. An der Promenade gab es ein paar Spiel-
und Fitnessplätze und gerade letztere waren gut besucht. Junge Männer mit
aufgepumpten Oberkörpern machten Klimmzüge um die Wette, ohne sich daran zu
stören, dass ihre dünnen Beinchen denen von Schulbuben glichen. Diese seltsam
unproportionierten Körper ließen mich unwillkürlich grinsen und das gab mir ein
so gutes Gefühl, dass ich mich beinahe selbst gerne am Reck versucht hätte.
Die Strandpromenade ist gesäumt von teuren Cafés und Bars
mit Livebands. Es war später Nachmittag, aber ich stellte mir vor, wie ich am
Abend unterwegs wäre, mit Freunden. Wir würden erst ein bisschen rumjammern, weil
alles so teuer war, uns dann aber sagen, dass das doch vollkommen egal sei, wir
wären schließlich nur einmal jung und würden uns in eine besonders schöne
Strandbar setzen. Die Cocktails wären der Wahnsinn und irgendwann würden wir
anfangen zu tanzen, angefeuert von den sympathischen Spaniern, denen das
Rhythmusgefühl im Blut lag. Um uns nach einigen Stunden abzukühlen, würden wir
nach draußen treten an die frische Meeresluft, und durch den Sand bis ans Ufer
stapfen. Ein paar mutige würden sich ausziehen und einfach nackt ins Meer
springen und mir zurufen, dass das Wasser gar nicht kalt sei, wenn man erst mal
drinnen ist. Ich hätte keine Zweifel am Wahrheitsgehalt dieser Aussage und
würde ihnen nach nur kurzem Zögern folgen.
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Eine wirklich wunderbare Sache war, dass es jeden Morgen frische
Erdbeeren gab. Ich habe bereits seit ich denken kann eine innige Liebe zu
diesen roten Früchten und habe am ersten Abend gegen elf einfach eine günstige
Palette Erdbeeren im kleinen Tante-Emma-Laden vom Pakistani mitgenommen. In
Deutschland würde ich diese Erdbeeren auch bekommen, allerdings für den Preis
mal drei, zusätzlich würden sie nach nichts schmecken, da sie noch unreif
geerntet wurden. Aber hier sind die spanischen Erdbeeren die einheimischen
Erdbeeren und deshalb das Beste, was einem passieren kann.
Generell macht es Spaß, in Barcelona Essen zu kaufen. Direkt
an unserer Metrostation war eine Markthalle, seltsam eingelassen in den Boden,
fast ein bisschen so wie das Untergeschoss von großen Kaufhäusern. Aber erst
mal darin, befand man sich in einer ganz anderen Welt. Ganz zu schweigen vom
riesigen Markt neben der Rambla! Gut jeder zweite Stand verkaufte Fleisch, aber
trotz langjährigem Vegetarierdasein habe ich interessiert in die Vitrinen
gesehen. Da gab es ganze Hühner und Kaninchen, unberührt bis auf die Tatsache,
dass man ihnen die äußere Haut abgezogen hatte und die Gesichter von Schweinen,
die aussahen wie wächserne Masken. Schafköpfe mit weit aufgerissenen Augen, als wären sie erstaunt darüber, was mit
ihnen so plötzlich geschehen war. (Achtung, davon befindet sich unten ein Foto!) Fische mit Rippenkäfigen so groß, dass ein
kleines Kind darin Platz gefunden hätte und riesige, getrocknete Keulen, die von den
Dächern der Stände hingen. Aber auch frisches Obst und Gemüse und Gebäck so
gut, dass mir jetzt noch der Gedanke daran das Wasser im Mund zusammenlaufen
lässt. Das beste Crossaint in meinem bisherigen Leben habe ich weder in Paris
gegessen, noch in der Bretagne, sondern im Herzen von Barcelona.
Wie gewohnt sprachen auch hier die Menschen wenig Englisch,
aber mit Händen und Füßen, viel Mimik und Gestik und dem mehr schlecht, als
rechtem Italienisch von meinem Papa war das zumindest einkaufstechnisch kein
großes Hindernis. Trotzdem hätte ich mich gerne etwas ausführlicher mit den
Einheimischen unterhalten, besonders die Älteren sahen oft so aus, als hätten
sie Geschichten zu erzählen, die es verdienen würden, gehört zu werden.
Fantastisch!! Der Text ist so wahnsinnig schön geschrieben, ich habe ihn total gerne gelsen, wie eigentlich alle deine Texte :) Mein Fernweh hat sich jetzt mindestens verdreifacht (obwohl schon von natur aus immer großes Fernweh habe...). Die Bilder sind auch mal wieder traumhaft (bis auf das vorletzte, da dreht sich mein Magen um, wenn ich das sehe^^).
AntwortenLöschenLiebe Grüße
Vanessa
Aw, vielen lieben Dank, du Süße <3
LöschenSehr passend, denn ich fliege in zwei Wochen nach Barcelona!!
AntwortenLöschenUnd toll geschrieben, das kannst du wirklich super!
nur das Bild mit den Köpfen und den Augen ist schrecklich. Ich hab für sowas zu schwache Nerven, bin (auch) Vegetarierin und krieg von sowas Alpträume!
Wie konntest du als Vegetarierin so ein Bild machen? Brrrrr!!! ^^
lg
Esra
http://nachgesternistvormorgen.de/
Vielen Dank <3
LöschenTut mir leid, wenn dich das Bild erschreckt hat ^^"
Ich bin unter anderem aus dem Grund Vegetarierin, weil ich bei der anonymen Massenabschlachtung von Tieren nicht mitmachen möchte. Die wenigsten Menschen um mich herum essen ihr Fleisch in seiner ursprünglichen Form, sondern lieber gut verpackt in der Bolognese oder im Burger, sodass man ja nicht erkennt, um was es sich dabei mal gehandelt hat.
Wenn ich solche Bilder wie das da oben sehe, dann sehe ich das eigentlich ziemlich positiv, weil das bedeutet, dass die Menschen, die regelmäßig auf dem Markt einkaufen, den Bezug zum Tier noch nicht verloren haben und es vielleicht ein bisschen besser würdigen.
Außerdem sehe ich meine Aufgabe als Fotografin auch irgendwo im dokumentarischen Bereich. Natürlich hat ein Fotograf immer einen selektiven Blick und was ihr auf meinen Fotos seht, ist nur ein winzig kleiner Teil der Welt, so wie ich sie sehe, aber dieses Bild war für mich so eindringlich und hat zu meinen Erlebnissen derartig dazugehört, dass ich es gerne fotografieren und veröffentlichen wollte (zumal im Text dazu ja auch die Rede davon ist ^^). Ich persönlich finde es ganz interessant, so etwas mal zu sehen, hoffe aber, dass deine letzte Nacht ruhig verlaufen ist? :/
Stimmt, natürlich hast du recht! Ich finde es auch richtig, hinter die Fassaden zu schauen, sozusagen.
LöschenJaja, ich habe gut geschlafen, keine Sorge :D Hab halt echt ne niedrige Ekelgrenze . Ich esse Fisch immer noch (leider), aber wenn ich einen Fischkopf auf meinem Teller sehen würde, würde ich ausflippen. Ganz schön heuchlerisch, ich weiß...
Respekt, dass du so konsequent bist!!
lg
Esra
http://nachgesternistvormorgen.de/
Ich lese deinen Blog und deine Artikel immer gerne. Auch wenn mich als Mann der vorige Artikel mit der Schminke nun nicht so interessiert hat. :P
AntwortenLöschenAber dein Schreibstil ist erfrischend und du schaffst es mit wenigen prägnanten Worten ein eindrucksvolles Bild in den Köpfen deiner Leser zu erwecken. Wenn du genügend Fantasie und vorallem Durchhaltevermögen hast, dann überleg doch mal ein Buch zu schreiben. Die handwerklichen Vorraussetzungen sind dir gegeben. Hast du darüber schon mal nachgedacht?
Ich freue mich auf weitere Einträge über deine Reise nach Barcelona. Das Bild mit den Möwen ist mein absoluter Liebling. Aber auch das vorletzte finde ich äußerst faszinierend.
Beste Grüße und weiter so.
Hey Sven, wie schön, weider von dir zu lesen! :)
LöschenVielen Dank für dieses unglaublich liebe Kompliment, du kannst dir nicht vorstellen, wie sehr mich das gerade gerührt hat! Es beruhigt mich vor allem, dass du das vorletzte Foto nicht abscheulich findest, kurzzeitig hatte ich nämlich schon überlegt, es wieder herauszunehmen! Ein Buch? Das ist eine gute Frage, ich habe darüber auch schon nachgedacht, allerdings fallen mir keine wirklichen Plots ein, sondern nur unzusammenhängende Textfetzen. Aber wenn man bedenkt, dass ich noch vor einem Jahr gar nicht geschrieben habe, ist das ja schon mal eine Steigerung :)
Viele liebe Grüße nach Hamburg!
Du schreibst einfach so unglaublich schön, Svenja. (: Jedes Mal verliere ich mich aufs Neue in deinen Texten und könnte stundenlang weiter lesen.
AntwortenLöschenDie Fotos sind wirklich toll geworden, ich finde man sieht richtig gut, dass du Momente mit deiner Kamera eingefangen und so für immer festgehalten hast.
Liebe Grüße (: <3
Ach Laura, vielen, vielen Dank! Ich hoffe, der Post konnte dir deinen Vormittag ein wenig versüßen ^^
Löschen<3
echt ganz ganz wunderschöne Bilder!! sieht nach einer echt tollen Stadt aus (:
AntwortenLöschenliebe Grüße Sandi <3
sunny-blossom-photography.blogspot.de
Tausend Dank! Ja, das ist sie, ein Besuch lohnt sich in jedem Fall :)
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