Mittwoch, 3. Juli 2013

Ein explosiver Tag

Bis ca. zwölf Uhr war dieser Tag einer wie jeder andere, ich war gerade mit der Uni fertig und wollte die S-Bahn nach Hause nehmen, als mir am Marienplatz einiges seltsam vorkam. So viele Menschen und die lauten Durchsagen, die niemand so richtig verstehen konnte. "Haben Sie gehört, was da gerade gesagt wurde?" fragt da ein älterer Mann einen anderen. "Ja, irgendwas von wegen, dass wir jetzt erst mal zum Ostbahnhof fahren sollen und dass ab dort wegen einem Polizeieinsatz keine S-Bahnen mehr fahren. Hat sich wahrscheinlich mal wieder einer auf die Gleise geschmissen oder so".
Mir wurde sofort mulmig, Nachrichten wie diese schaffen es regelmäßig, mir den ganzen Tag zu verderben, da ich mit den Gedanken oft bei den Angehörigen und den Opfern bin. Ein Blick auf meine Verkehrsapp verriet mir, dass das ganze Schienensystem gestört war, ich war aber zuversichtlich, die Regionalbahn nach Hause zu bekommen.
Ich schüttelte das unangenehme Gefühl also so gut es ging ab und stieg in die nächste S-Bahn, in der die Fahrgäste sofort die nächste Durchsage erwartete: "Sehr verehrte Fahrgäste, diese S-Bahn endet am Ostbahnhof. Bitte steigen Sie dort in die U-bahnen oder Busse um, die S-Bahnen verkehren aufgrund eines Bombenfundes bis auf Weiteres nicht mehr". Bombenfund. Bombenfund. Bombenfund. Durch die Menschen im Wagon geht ein Zucken, eine Frau keucht laut. Ist das ein Scherz? Natürlich kennt man die Nachrichten von vereitelten Anschlägen, aber die sind doch alle ganz weit weg. Wieso passiert so etwas in München? Ist was passiert, ist die Bombe explodiert? Ist jemand verletzt worden, eventuell sogar jemand, den ich kenne?
Mir wurde ganz schwindelig und ich versuchte, mich mit dem S-Bahn-Plan abzulenken, dem ich die nächsten Schritte entnehmen wollte. Umsteigen in diese U-Bahn, dann zwei Stationen mit der da, von da dann den Bus und dann an diese Endhaltestelle, wo mich vielleicht jemand mit dem Auto abholen kann. Eine ältere Frau stellte sich zu mir. "Müssen Sie auch in diese Richtung? Sehen wir doch mal nach, wie wir das anstellen, das wird schon irgendwie werden!". Am Bahnhof heftete ich mich also an ihre Fersen und lief mit verkrampfter Körperhaltung den Massen hinterher. Beim Warten auf die U-bahn tippte ich wie in Trance die Schlagwörter "München Bombe" in mein Handy und fühlte mich dabei unwirklich. Mir wurde immer unwohler, ich wollte endlich wissen, was los war und als die erste Nachrichtenseite endlich geladen hatte und ich die ersten Worte lesen wollte, packte mich eine uralte, gemeine Fram am Arm. "Ned vordrängeln, gell?!". In meiner Konzentration auf das Handy hatte ich mich zur Tür der inzwischen eingefahrenen Bahn gestellt und dabei anscheinend dieses Monster verärgert. Wütend versuchte ich, die Tränen zurückzuhalten, die sofort in meinen Augen brannten, wie immer, wenn ich mich ungerecht behandelt fühlte und die Anspannung machte es nicht leichter, meine Geühle unter Kontrolle zu behalten. Mein Blick fiel auf die nette Frau von vorhin, die mir aufmunternt zunickte, mir über den Arm strich und sagte: "Wir schaffen das schon, wenigstens haben wir am Schluss zu Hause etwas zu erzählen!". Ich sah sie dankbar an und zwang mich zu einem Lächeln, als die nächste Durchsage kam. "Die U-Bahn verkehrt bis auf Weiteres nicht mehr, da eine 250kg schwere Fliegerbombe aus dem zweiten Weltkrieg entdeckt wurde. Bitte weichen sie auf die Busline 319 Richtung Messestadt aus". Ein Blick in mein Handy bestätigte mir diese Information, die anderen beugten sich über das Foto. Eine riesiges, verrostetes Metallirgendwas in einem aufgewühlten Boden und Gelbeschwarze Absperrbänder.
Ein  junges Mädchen wies der alten Frau bereits den Weg zu den Buslinien und ich schloss mich ihnen an, finster blickend, sehr verängstigt und mit der Vorahnung, dass wir nicht die einzigen waren, die zum Bus wollen. An der Haltestelle erwartete uns bereits eine Menschenmasse und als der bereits volle Bus sich dorthin durchgekämpft hatte, verließ mich der Mut. Ich würde dort nicht mehr hineinpassen und schon hatte ich die nette Frau aus den Augen verloren.
Da fiel mir auf einmal ein, dass mein Papa ganz in der Nähe arbeitet und so schnell konnte ich gar nicht schauen, haben meine Finger schon seine Nummer gewählt und das Wählzeichen ertönte.
Glücklicherweise fuhren die U-Bahnen noch in die andere Richtung, weshalb ich mich keine zehn Minuten später in vertraute Arme fallen lassen konnte.
Den Rest des Tages verbrachte ich dann im Büro mit einem Arbeitskollegen von meinem Papa, der mir freundlicherweise Asyl gewährte und eine so angenehme Arbeitsatmosphäre schuf, dass ich mich im Nu durch meine Texte gearbeitet habe.
Am Abend bekamen wir dann auch noch Besuch von einem indischen Kollegen von meinem Papa, was auch sehr nett war, allerdings mussten wir ein Taxi nach Hause nehmen, weil die Bahnen immer noch nicht ordnungsgemäß verkehrten.

Das Coolste an sowas sind die Besucherausweise

Meiner Lyrikanalyse stand dann auch nichts mehr im Wege
Für Außenstehende ist mein Empfinden wahrscheinlich schwer nachvollziehbar und ich selber bin ein Mensch, der sich nicht leicht aus der Ruhe bringen lässt und meistens einen kühlen Kopf bewahrt.
Im Nachhinein kommt mir diese ganze Geschichte auch so lächerlich vor und ich schäme mich fast ein bisschen für die Angst, die mich zeitweise befiel. Vor allem wenn man bedenkt, dass hier regelmäßig Blindgänger gefunden werden.
Aber ich muss sagen, dass ich nun zumindest eine winzig kleine Ahnung davon habe, wie es sein muss, wenn man im Ungewissen gehalten wird, sei es darüber, wie mit einem selbst verfahren werden wird oder wie es anderen geht. Dass es sich nicht um einen Terroranschlag handelt, wusste ich eine Zeit lang nicht, was in diesem Moment wirklich nervenaufreibend war.

Zufälligerweise passierte meiner Mutter heute eine ganz ähnliche Geschichte. Sie war in den Supermarkt gefahren, um für das Abendessen einzukaufen, als dieser auf einmal von Feuerwehrleuten, Polizei und Notarzt umzingelt und evakuiert wurde. Grund dafür war ein Gasleck im Gebäude nebenan und die Kunden bekamen nur die Anweisung, so schnell wie möglich das Gebäude zu verlassen und sich möglichst weit davon zu entfernen. Wir haben später darüber geredet und festgestellt, dass wir ganz ähnliche Erfahrungen gemacht haben. Diese Angst, die einen in diesem Moment beschleicht, ist wirklich übel und man kann nur von Glück reden, dass sie unbegründet war und wir so etwas nicht oft erleben müssen.

Hübscher Garten in der "Mittagspause"
Taxifahrt nach Hause, ich hab mich dekadent gefühlt!

Am Ende des Tages verspüre ich aber hauptsächlich Dankbarkeit. Dafür, dass niemandem etwas passiert ist, dass unser Staat so gut funktioniert und man sich im Ernstfall auf die Behörden verlassen kann. Dankbarkeit dafür, dass ich mich so nah am Büro von meinem Papa befand. Und vor allem  gegenüber der netten alten Frau, die mir in diesen Momenten sehr viel Halt gegeben hat und für mich da war. Auch wenn ich sie wahrscheinlich nie wieder sehen würde, möchte ich ihr danken. Ich hoffe, dass sie im Bus nicht zerquetscht wurde und stelle mir gerade vor, wie sie die Geschichte in den nächsten Tagen immer und immer wieder erzählt, jedem, der es hören möchte.

Sorry übrigens für die schlechten Fotos, hatte nur mein Handy dabei und wollte euch keine Textwand vorsetzen. Ist einem von euch schonmal etwas Ähnliches passiert?

4 Kommentare:

  1. Macht total Spaß deine Texte zu lesen, weil du sehr schön scheibst. Aber wow was für eine Geschichte, ich glaube ich hätte total Panik bekommen. Und diese älteren Menschen die einen meistens grundlos anmotzen - aaah

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    1. Aw, danke!! Freut mich wahnsinnig <33
      Du auch? Beruhigt mich irgendwie :D

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  2. Krasse Geschichte °-° Finde es aber toll und auch interessant, dass du solche Dinge für deine Leser aufschreibst :)
    Ich denke nur manchmal, wenn ich im Radio höre, dass irgendwo ein Unfall passiert ist: "Was, wenn das Person XY war?" Selbst wenn es heißt in Hamburg oder Bremen, wo die Wahrscheinlichkeit nun wirklich gering ist, dass man die Person tatsächlich kennt, ein ungutes Gefühl habe ich dann manchmal schon. :/

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    1. Ja, oder? ^^
      Freut mich zu hören!
      Ja, man kennt ja immer irgendwo jemanden :(

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