Samstag, 3. Mai 2014

Barcelona Part II



Die Sagrada Familia glich für mich einer Offenbarung. Als wenig gläubiger Mensch, der für Kirchen nicht besonders viel übrig hat, habe ich mich eigentlich eher mitschleppen lassen und mich, als ich die hässlichen Baugerüste und Planen gesehen habe, in meinen grummeligen Gedanken bestätigt gefühlt. Aber kaum hatten wir uns durch eine schier endlos große Gruppe von Chinesen gekämpft, stand ich im Eingang der Kirche und war so überwältigt von dieser Schönheit, dass ich einfach stehen blieb und eine Gänsehaut bekam, die mich am ganzen Körper erfasste. Etwas so Wundervolles habe ich bisher noch nie in meinem Leben gesehen. Ich fühlte mich wie in einem steinernen Wald, dessen dicke Bäume sich oben zu einem sicheren Blätterdach verdichteten. Die Lichtstrahlen, die durch die Fenster fielen, spielten mit den Glasfarben ein lustiges Spiel, sodass es mir fast schien, als könnte ich sie leise lachen hören. Ein Blick hoch zur Decke glich dem in ein Kaleidoskop, aber anstatt mich dadurch orientierungslos zu fühlen, hatte ich das Gefühl, ein wichtiger Teil dieses wunderbaren, steinernen Kosmos zu sein und jederzeit in ihn hineinfallen zu können. Die Gesetze der Physik schienen hier nicht zu gelten und es hätte mich nicht gewundert, wenn Himmel und Erde auf einmal den Platz getauscht hätten.

Ich unternahm ein paar Versuche, diese Eindrücke fotografisch festzuhalten, habe dann aber schnell verstanden, dass es nicht möglich sein würde, diese Schönheit einzufangen und verstaute die Kamera zum ersten mal in diesem Urlaub in meiner Tasche. Nach einigen Rundgängen setzte ich mich auf einen der Stühle, die in der Mitte der Kirche aufgereiht waren und ließ die Atmosphäre auf mich wirken. Es war ziemlich kalt, aber ich wickelte mich fest in meinen Mantel ein und ließ den Blick wandern. Nach und nach versank mein Geist in eine unglaubliche und selten gespürte Ruhe, mein
Kopf war irgendwann einfach leer und als es irgendwann Zeit war zu gehen, sah ich, dass meine Uhr in der Zwischenzeit stehengeblieben war und ich eine ganze Weile länger auf dem Stuhl gesessen hatte, als gedacht. 

Wenn ich mir in Barcelona auf unbestimmte Zeit – vielleicht ein Semester oder auch ein ganzes Jahr – ein Zuhause hätte suchen müssen, dann wäre es sicher in Gracia gewesen. Ein ursprünglich für sich stehendes Dorf, das von der wachsenden Großstadt nahezu verschlungen wurde. Eine dramatische Geschichte mit einem wunderschönen Endergebnis, wo gibt es so etwas?
Wenn man die brummenden Einkaufspassagen satt hat, ist dieses Viertel genau der richtige Ort, denn kaum etwas erinnert dort daran, dass man sich tatsächlich in einer Millionenstadt befindet. Zwischen den engen Gässchen, den mit Kakteen eingewachsenen Balkonen und den verzauberten Innenhöfen scheint die Zeit stehengeblieben zu sein. Die Menschen sind entspannt, es gibt keinen Lärm und man fühlt sich geborgen und willkommen, ein Gefühl, das sich in Städten bei mir nicht oft einstellt. Auf von alten Häusern eingesäumten Plätzen kann man den Straßenmusikanten lauschen oder der melodischen spanischen Sprache, die manchmal klingt wie ein Donnergrollen und manchmal wie Vogelgezwitscher, oft innerhalb von nur einem Wort. 

An einem Abend aßen wir in einem libanesischen Restaurant und kamen mit dem aus Venezuela stammenden Kellner ins Gespräch. Er machte sich über die Sitte der Spanier lustig, so unglaublich spät zu essen und erst eine Viertelstunde vor Ladenschluss aufzutauchen, dann aber ein Festmahl zu erwarten. Dabei lachte er laut, mit blitzend weißen Zähnen und gestikulierte viel, woran sich nicht einer der anderen Gäste störte. Im Gegenteil, alle schienen seine gute Laune zu genießen und seine Meinung sogar zu teilen. 

Da wir ganze sechs Tage zur Verfügung hatten, war es eine gute Entscheidung, sich an den letzten Tagen ein Mietauto zu nehmen und die Gegend außerhalb der Großstadt etwas zu erkunden. Als mir am Morgen gesagt wurde, dass das Ziel des Ausflugs Lloret de Mar sein würde, war ich schon ein wenig erstaunt, immerhin kennt man diesen Namen nur im Zusammenhang mit Abschlussfahrten, peinlichen Geschichten und viel, viel Alkohol. Als wir nach zwei Stunden Autofahrt dann endlich in den Ort einfuhren, war ich sehr ernüchtert. Ich konnte nicht verstehen, wie man sich freiwillig zwei Tage in einen Bus quetschen, in einer dieser heruntergekommenen Bettenburgen übernachten und sich in den billigen Clubs und Bars herumtreiben konnte. Es ist wahrscheinlich einer dieser Orte, den man sich im Dunklen schöntrinken muss und an die man sich dann hinterher sowieso nicht mehr so genau erinnert. Ich blieb dabei, dass ich eine Woche dort nichtmal geschenkt nehmen würde. Zum Glück teilten die anderen meine Meinung und wir fuhren weiter, eine gewundene Straße entlang, die sich irgendwann steil bergab schlängelte und unten im Paradies endete. 

Es schien mir unmöglich, wie sich nur einige Fahrminuten von Lloret entfernt ein so traumhafter Ort befinden konnte. Weißer Sand, türkises Meer, schroffe Felsen, bunte Boote und duftende Kiefern. Es ging ein frischer Wind, aber es war keine einzige Wolke am Himmel und die Sonne wärmte einem die Haut oder zumindest das, was man ihr davon preisgab.
Wir legten auf dem Weg zu einem geeigneten Picknickplatz ein kleines Stück am Wasser entlang zurück. Als ich mich zum Essen auf einem Felsen niedergelassen hatte, konnte ich unseren Spuren dabei zusehen, wie sie nach und nach vom Wasser weggewischt und verschluckt wurden, bis irgendwann absolut nichts mehr darauf hindeutete, dass sie je dagewesen waren. Die Selbstverständlichkeit, mit der das passierte, gefiel mir, denn sie erinnerte mich daran, dass dieses Meer noch in hunderten von Jahren genau so, wahrscheinlich unverändert, an diesem Ort existieren würde. Ich, und alle Menschen, die gleichzeitig mit mir auf diesem wunderschönen Planeten leben, allerdings nicht mehr und das ist eine unanfechtbare Tatsache.
Aus diesem Grund möchte ich meine Spuren gerne irgendwie besonders gestalten. Ich erwarte nicht, dass sie länger zu sehen sein werden, als andere, oder dass man sich aus irgend welchen Gründen noch lange an sie erinnern wird, aber man soll ihnen, so lange sie noch sichtbar sind, ansehen, dass ich es war, die sie hinterlassen hat.
Vielleicht, weil man erkennen kann, dass ich mal einen Teil wieder zurückgegangen bin oder viel länger an einer Stelle gelaufen bin als andere. Oder weil direkt neben den Fußstapfen Zeichnungen oder Worte in den Sand gekratzt wurden, oder weil man sieht, dass zwischenzeitlich Luftsprünge gemacht wurden. Ich möchte, am perfekten Platz angekommen, an dem ich für immer verweilen möchte, nicht auf eine gerade und makellose Linie zurückblicken, sondern auf ein gelebtes Leben. 


4 Kommentare:

  1. wow. richtig tolle eindrücke. ich liebe das bild mit den vielen bunten häusern, die sich im wasser spiegeln. <3
    liebe grüße. Monika

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  2. Der Text hat mir echt super gefallen, genauso habe ich mir Barcelona immer vorgestellt, leider war ich noch nie da. Dein Post hat aber auf jeden Fall bewirkt, dass ich jetzt so gerne dort hin möchte!! Die Bilder sind auch beeindruckend und passen super zum Text!
    Liebe Grüße, Maybrit von Kopfchaos

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  3. Wie du schreibst!!! <3
    Und das Ende hätte auch von mir sein können! Ich überlege mir auch oft die Sache mit der Ewigkeit und Vergänglichkeit... Traurig und faszinierend zugleich...
    Freue mich schon auf Barcelona nächste Woche!! Hoffentlich kann ich auch so viel sehen, obwohl ich alleine fahre und mich nciht auskenne...
    lg
    Esra

    http://nachgesternistvormorgen.de/

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  4. Shame my german is so bad, but i love the photos!!♥

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