Ich bin introvertiert! Alle, die sich mit diesem Thema bereits auseinandergesetzt haben, werden jetzt mit den Augen rollen und sich denken „ach, sag bloß!“. Auch ich war eigentlich immer der Meinung, dass jeder über die beiden Persönlichkeitsmerkmale Introversion und Extraversion Bescheid weiß. In der letzten Zeit habe ich mich allerdings ab und zu in die Ecke gedrängt gefühlt und begonnen, mich zu rechtfertigen. Und damit ich in Zukunft nicht mehr mit Leuten darüber reden muss (huraa!), habe ich mir gedacht, dass ich mal alles aufschreibe, was mir zu dem Thema einfällt.
Ich hoffe zwar, dass ich damit nicht nur für mich, sondern auch für andere Introvertierte spreche, allerdings erhebe ich darauf natürlich keinen Anspruch. Also an alle, die zu dem Thema etwas zu sagen habt: Erhebt euch! Vereint euch in den Kommentaren! Jeder für sich... von zu hause aus...
Was bedeutet introvertiert und was bedeutet extrovertiert?
Das ist eigentlich ganz leicht zu beantworten. Wer extrovertiert ist, zieht Energie aus Unternehmungen mit und der Gesellschaft von anderen Menschen. Lange Zeit alleine dagegen laugt ihn aus.
Bei introvertierten Persönlichkeiten ist es genau anders herum: Ich empfinde es als anstrengend, mit anderen Menschen zusammen zu sein (was nicht heißt, dass ich es nicht genießen kann) und lade meine Akkus am liebsten zu Hause wieder auf, wenn ich alleine bin.
Was bedeutet introvertiert sein NICHT?
Introversion ist nicht gleichzusetzen mit Schüchternheit. Introvertierte Menschen haben nur kein Interesse an Smalltalk und sind gerne für sich, weshalb sie sich nicht immer gerne unterhalten möchten. Wer introvertiert ist, ist auch nicht einsam, deprimiert, oder sozial inkompetent. Was für einen extrovertierten Menschen aussehen kann, wie eine richtig traurige Angelegenheit, kann für einen introvertiertenvertierten Menschen Normalität, Erholung und Zufriedenheit bedeuten.
Es bedeutet auch nicht, dass man, nur weil man introvertiert ist, keine sozialen Kontakte braucht. Ein introvertierter Mensch kann sich genauso einsam fühlen wie ein extrovertierter. Jeder braucht Ansprechpartner, Vertraute und Freunde.
Was macht introvertierte Persönlichkeiten aus?
Wir mögen wie erwähnt keinen Smalltalk, was aber nicht bedeutet, dass wir uns nicht gerne unterhalten. Wir lassen das allgemeine Geplänkel nur gerne weg und widmen uns interessanteren Themen. In unserer Allein-Zeit beschäftigen wir uns mit unzähligen Dingen: wir lesen gerne, denken viel, beschäftigen uns mit Tieren, hören Musik, sind kreativ und gerne in der Natur unterwegs. Und darüber unterhalten wir uns auch liebend gerne. Wenn eine Gruppe aus weniger als ca. 5 Leuten besteht und wir sie gut kennen und mögen, können wir richtig aufblühen, Witze machen, laut lachen und die Zeit sehr genießen. Trotzdem brauchen wir irgendwann wieder Zeit für uns, weshalb wir immer froh sind, wenn sich die Gruppe irgendwann auflöst und jeder wieder seinen eigenen Gedanken nachhängen kann.
Wir mögen keine direkten Konfrontationen und gehen Konflikten deshalb gerne aus dem Weg. Wir klären Dinge lieber in 643 Whatsapp-Nachrichten, als einen kurzen Anruf zu tätigen. Und wenn wir nicht dauernd das Gefühl vermittelt bekommen würden, dass das alles nicht okay ist, würden wir uns sogar sehr wohl fühlen.
Wie geht man als Extrovertierter mit einem introvertierten Menschen um?
- Als aller erstes: Nimm es nicht persönlich, wenn er keine Zeit hat. Meistens ist das seine höfliche Art, dir zu vermitteln, dass er Allein-Zeit braucht und ihm soziale Aktivitäten zu anstrengend sind. Respektiere das und sieh es positiv: Nur so kann er auf Dauer gesund bleiben und mit seinen Kräften haushalten.
- Schraube einen Gang runter. Er braucht Zeit zum Nachdenken und alle Sinneseindrücke zu verarbeiten. Wenn er nicht sofort antwortet, denkt er wahrscheinlich nach und es tut ihm auch gut, wenn du einfach mal kurz schweigst und dich nicht zu sehr auf ihn fokussierst.
- Höre ihm gut zu, wenn er spricht, denn er hat sich alles, was er sagt, vorher gut überlegt. Lasse Fragen wie „Wie geht es dir“ oder „Was hast du so gemacht?“ besser weg. Es sei denn, es interessiert dich wirklich, aber auch dann ist es besser, etwas zu fragen wie: „Ich habe gehört, dass du... wie geht es dir damit?“ oder „Hast du den Film xy schon gesehen?“.
- Wenn irgendwie möglich, sieh zu, dass Tiere in der Nähe sind. Er wird sich sehr freuen, wenn er nebenbei einen Hund streicheln und sich mit ihm beschäftigen kann. Das läd die Akkus wieder auf.
- Es ist generell gut, wenn man nebenbei etwas macht, damit er sich nicht zu beobachtet fühlt. Im Freien, zum Beispiel bei einem Spaziergang im Wald, kann er sich noch auf andere Dinge konzentrieren.
- Er mag es sicherlich, in deiner Nähe zu sein, nur kann sein Fokus nicht dauerhaft auf dir liegen. Wenn ihr also zusammen zum Lernen in die Bibliothek geht oder nebeneinander ein Buch lest, strengt ihn das nicht allzu sehr an.
- Akzeptiere es, wenn er sich langsam verabschieden möchte. Es fällt ihm sowieso schwer, das Treffen zu beenden, weil er niemanden verletzen möchte. Deshalb machst du es ihm nur sehr unangenehm, wenn du deine Enttäuschung offen zeigst. Wenn du wirklich noch ein paar Minuten mit ihm haben möchtest, schlage Dinge vor wie: „Wie wäre es, wenn wir uns noch ein Eis holen und uns danach verabschieden?“ oder „In fünfzehn Minuten geht sowieso mein Bus, bis dahin können wir ja noch zusammen bleiben“.
Hat es auch Vorteile, introvertiert zu sein?
Ich persönlich bin kein Fan davon, eine der beiden Persönlichkeitsmerkmale zu glorifizieren, wie das in der letzten Zeit bei der Introversion oft der Fall ist (man gebe das nur mal bei Imgur oder Reddit ein). Trotzdem hat es natürlich auch Vorteile, mit einem introvertierten Menschen befreundet zu sein. Es handelt sich dabei häufig um sehr loyale Menschen, die ein Freund fürs Leben sind. Sie sind sehr verständnisvoll, hören aufmerksam zu, machen sich viele Gedanken und sind oft mit wenigen Dingen zufrieden zu stellen.
Da introvertierte Menschen gerne in Gedanken versinken, lernen sie gerne und können sich gut auf Dinge konzentrieren und fokussieren. Sie verlieren nicht schnell das Interesse und haben eine unerschöpfliche Fantasie. Es ist eigentlich egal, ob man nun introvertiert, oder extrovertiert ist, man kann es sowieso nicht ändern. Aber es ist natürlich immer gut, sich auf die Vorteile zu konzentrieren und nicht auf die augenscheinlichen Nachteile.
Auch wenn ich mir nicht sicher bin, wie viele Leser dieser Text tatsächlich erreichen wird, ich bin froh um jeden einzelnen. Denn es ist wichtig, dass introvertierte Menschen nicht als antisoziale Idioten wahrgenommen werden und nicht jeder ist sich darüber im Klaren, was es bedeutet, introvertiert zu sein oder mit einem introvertierten Menschen zusammen zu leben. Dabei kann ich nur jedem den Tipp geben, in dieser lauten Welt auch mal den Leisen zuzuhören. Wenn man sich die Zeit nimmt, haben wir nämlich ganz schön viel zu sagen.